Vorwort
Wenn ich mich heute mit meinen Seelenverwandten vergleiche, hatte ich als Kind kein ähnlich schlimmes Schicksal: Ich litt keinen Hunger, keinen Durst, musste nicht in einem Heim aufwachsen oder die Eltern wechseln, wurde nicht vergewaltigt, nicht hemmungslos verprügelt.
Trotzdem:Auch ich wurde von klein auf traumatisiert, lebte bis ins späte Erwachsenenzeitalter als Traumtänzerin, vergaß, verdrängte, um zu Überleben. Von der Vergangenheit geschüttelt, blickte ich scheu in die Zukunft. Die Gegenwart aber blieb trost- und freudlos.
Selten konnte ich mich mitfreuen, mitteilen, am Leben der oberflächlichen und seelenlosen, nur dem Vergnügen und dem Konsum ergebenen Welt teilhaben! Einsam und allein schritt ich jahrelang auf diesem Planeten dahin, fand nichts, was mir hätte Sinn und Orientierung geben können.
Doch: Meine frühen Illusionen und Träume vom Frieden und der Liebe, von Geborgenheit und Harmonie verwirklichen sich heute von Tag zu Tagnicht ohne Mühen!:
Aus mit Passion, der Leidenschaft, die Leiden schafft :
Ich bin aufgewacht !!!
S.14 ein Rückblick auf 1954:
Es war bereits Herbst, kurz vor der beginnenden Kelterzeit: Die Keltern mussten gereinigt und hergerichtet werden und es gab viel Arbeit- jede zupackende Hand war willkommen! "Liescht", die Stängel des Schilfgrases, die üppig an den Rändern des Dorfbaches wuchsen, waren zu ernten und zu trocknen, bevor sie der Küfer zum Abdichten seiner sowohl handwerklichen als auch kunstvoll perfekt gestalteten Fässer verwenden konnte. Später hielt der Großvater die Gäste dazu an, die zum Quetschen der Früchte benötigte riesige, schwere, hydraulische Presse an einen geeigneteren Platz zu versetzen. Alles für die zwei Bayern ungewöhnliche und interessante Arbeiten!*Dem zukünftigen Schwiegervater kam auch Josefs künstlerische Begabung, die Beherrschung von Schrift und Graphik zu Gute: Hingebungsvoll und kreativ gestaltete mein Vater für den Küfer Plakate und Schilder, verzierte seine Buchstaben in gotischer Schrift mit Weintrauben, Obst, Mustern und anderen Malereien.
Durch jahrelange Ausbildung seiner Lehrlinge gewohnt- Großmutter beherbergte manchmal bis zu sieben junge Männer- war Großvater das Delegieren gewohnt, scheute sich nicht, die Gäste einzusetzen, immer neue Beschäftigungen für sie zu finden! Opas Begeisterung für die starken Burschen aus Bayern wuchs von Tag zu Tag! Er war immer mehr überrascht von Josefs Vielseitigkeit, seiner Einsatzbereitschaft und seinen Leistungen.So blieb in diesen Tagen nicht viel Zeit für zärtliche Blicke, romantische Worte oder gar körperliche Annäherung der Verliebten!
S.140 -141 Stationär in der Psychiatrie
Als ich- im Alleingang- im Herbst 1990 das Buch, "Die Göttin in dir", studierte, fleißig die genannten Yogaübungen vollzog, merkte ich nicht, wohin mich "die Geister, die ich rief" hintreiben würden!
Seit langem fastete ich, wollte endlich zur Erkenntnis gelangen. Die im Buch beschriebenen Yogaübungen und mein Assoziationsgedächtnis aber trieben mich in eine Psychose, die zunächst Keiner erkannte:Ich bekam vor allen natürlichen Geräuschen Angst. Das Gurren der Tauben auf dem Dach erinnerte mich an Melancholie und Lauheit, das Bellen eines Hundes wollte mich vor einem Tun warnen, das zeternde Schimpfen einer Amsel und Hahnengeschrei, waren kaum auszuhalten!
Ich fühlte mich fremd- und ferngesteuert, "ohnmächtig" im wahrsten Sinne des Wortes. Magische Synchronizitäten wechselten mit panischer Angst, ich schwebte zwischen Melancholie und Lethargie, wurde unfähig, meine Arbeit zu tun.*Am Ende des Buches geriet ich in eine übermenschliche Extase, war meinen eigenen Kräften nicht mehr Herr. Auch in dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Mein unbändiger Drang und mein Wunsch nach Vereinigung trieb mich zu meinem Mann, der jedoch längst schnarchte, mich müde abwies. In absoluter Übermüdung, völlig kraftlos und verängstigt, schlich ich mich im Morgengrauen aus dem Haus,
S. 139
kauerte mich an der Nordseite unter die mächtige Eibe, die Erdgeschoß und die obere Wohnung verband, und wartete. Worauf? Auf den Tod?***Als mein Mann mich in meinem Zustand fand, rief er unseren Hausarzt um Rat an. Er riet ihm zu einer sofortigen Vorstellung im BKH, dem hiesigen Nervenkrankenhaus, in dem schon meine Großmutter väterlicherseits vor der Hitlerzeit gedient hatte.Sogleich holte Gerald Stefans und Klausens Anoraks und wir fuhren los. Stefan war gerade vier Jahre alt, Klaus etwa zweieinhalb.***Es war der 30. September 1990, ein ruhiger und verschlafener Sonntag Vormittag.Die Glocken läuteten. Viele Leute waren unterwegs auf dem Weg zur Kirche, das Wort Gottes zu hören, die Eucharistie zu feiern.Ich aber saß im Aufnahmezimmer eines jungen Arztes, wurde zu einer ersten Diagnose befragt. Mein Inneres gebot mir längst Schweigen, meine Erlebnisse waren mit einem magischen Tabu umgeben. So bekam der Arzt kaum Informationen von mir.Als mein Mann und die Kinder hereingelassen wurden, meinte der Arzt, mein Zustand sei sehr bedenklich, es wäre besser, wenn ich in der Klinik verbleiben würde! So unterschrieb ich das Formular zu meiner freiwilligen Aufnahme, während Gerald und die Kinder nach Hause fuhren, für mich einen Koffer zu packen und die verordneten Schilddrüsentabletten zu holen.***Bevor eine Pflegerin mit mir das Krankenzimmer in der offenen Abteilung im zweiten Stock betrat, schlug mein Herz gleich höher! Denn am Gang erkannte ich an seiner Kleidung einen katholischen Priester.Durch den Geistlichen erhoffte ich mir ein helfendes und heilendes Gespräch und ich sprach ihn, frohergestimmt, an. Doch der Seelsorger hatte keine Zeit für mich, hörte nur kurz zu. Dann schüttelte er den Kopf: Er müsse in eine andere Abteilung!
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Als er sich verabschiedete, durchfuhr es mich:"Jetzt haben mich auch Mutter Kirche und Gott Vater verworfen!"*Noch im starken Nachklang dieses Schmerzes öffnete die Pflegerin die Tür zu meinem Krankenzimmer und ich bekam den nächsten Schock: Rechts vom Eingang, neben der Toilettennische, war über dem Bett die ganze Wand mit zwanzig Zentimeter großen, roten Lippenstiftspuren beschmiert. Die Ausdrücke wie "Fuck you" waren alle der sexuellen Vulgärsprache entnommen!***Gleich darauf war ich allein in der neuen Umgebung und versuchte, mich geistig einzurichten. Meine Sinne aber waren noch bewußtseinserweitert hellwach und ich registrierte alles mit großem Interesse und Aufmerksamkeit.Gleich kam auch die Besitzerin des rechten Wandbettes ins Zimmer, ein zottelmähniges Wesen mit wildem Gesichts-ausdruck. Es setzte sich- trotz des Rauchverbotes in den Zimmern- gleich ans geschlossene Fenster und zündete sich eine Kippe an. Die Augen geschlossen, saugte es wie ein Tier gierig das Nikotin ein und blies den Rauch aus vollen Nüstern aus. Kein freundlicher Anblick!Pauline, die Dritte im Zimmer, aber lag derweilen- bis über die Nasenspitze zugedeckt- schlotternd in ihrem Bett. Sie sei hier wegen Teufelsangst, wie sie mir flüsternd erzählte. Und, Alexandra, wie sich die Schriftenmalerin nannte, hatte wirklich große Ähnlichkeit mit einem Wesen aus der Unterwelt! So begann also mein erster Abend im Bezirksklinikum Regensburg.
***Als wir im Bett lagen, konnte ich nicht einschlafen. Die Gedanken, vorher etwas beruhigt, begannen wieder zu kreisen: Diese Nacht sollte ich also mit Alex, dem "leibhaftigen Teufel" und Pauline, der "Teufelsfurcht-besessenen" verbringen! Und ich, als "Hexe", die Dritte im Bund!
Mehr Gestalten aus der Unterwelt, eine ganze Höllenmenagerie wollte sich in meinen Gedanken breit machen und ich hatte Furcht, in dieser Nacht selbst wahnsinnig zu werden, die Kontrolle über mich zu verlieren!
Meine Gedanken wanderten zu meiner Familie:"Was wird aus meinem Mann und unseren zwei kleinen Buben, wenn ich zu einem Wesen wie Alex würde? Kann ich es den Meinen zumuten, ein Leben lang an eine irre, abwesende Mutter zu denken?"
S. 196 Kapitel 8. Trotzdem: Überleben
In unserem Jahrhundert ist- trotz Reichtum an Konsumgütern, genügend Euro und Cent in der westlichen Welt- vieles schwieriger geworden:
Internet und Handys vernetzen uns mit dem ganzen Planeten, jede Naturkatastrophe wird uns per Radio, TV und Zeitung brühwarm ins Haus geliefert. Finanzprobleme, Militäraktionen, Flüchtlingselend und Nöte der armen Länder werden uns freihand ins Wohnzimmer übertragen, in dem die "Reichen" warm und gemütlich vor dem Fernseher unser Abendbrot verspeisen.
Der tägliche Konsum der Weltnöte aber lässt uns abstumpfen, lenkt uns von unserer eigenen, innerseelischen Armut und Einsamkeit ab. Berichte vom Umgang mit Randgruppen, Alkoholikern, Messies, psychisch Kranken, Drogenabhängigen, wollen uns aufklären, uns Mittel zur Abhilfe aufzeigen, doch in den psychiatrischen Praxen stehen die gebeutelten Menschen Schlange, geben sich die Tür in die Hand!
Ja: Bei uns ist vieles im Argen!
Die aufwachsende junge Generation hat selten echte Sorge und echte Angst- wie sie unsere kriegsgebeutelten Eltern hatten- kennengelernt! Nur so ist es verständlich, dass sie sich- vor allem die Buben- für diese grausamen virtuellen Spiele interessieren, einen gewissen Schauer, einen "Kick" erzeugen wollen.
Die Mädchen dagegen werden mit kitschigen Barbiepuppen, samt benötigtem Zubehör wie Puppenhaus und Kamm, in eine künstliche Scheinwelt versetzt, werden systematisch verdummt und naiv gehalten!
Die unterschiedliche Erziehung der Kinder aber bewirkt neben der Verkümmerung der Seelen eine weitere und nachhaltigere Trennung zwischen den Geschlechtern, eine Verstärkung der Dualität!***